AUSSENRAUM


Einleitung

 

LBS_H1-019493.
02.10 Bullingerkirche.

 

In der Regel beinhalten die Planung und Positionierung der Kirchen eine erwünschte Anziehungskraft und eine Zurschaustellung der architektonischen Gestaltung. Deshalb ist die städtebauliche Situation einer Kirche meist von einer aussenräumlichen Dominanz geprägt. Dabei ist die Volumetrie und Fassade der Kirche nach aussen zur Stadt exponiert und steht oft in einem auffälligen Kontrast. Dadurch übt sie einen kraftvollen Einfluss auf das Stadtbild aus.

Dies geschieht auf verschiedene Ebenen. In der Höhe dominieren Glockentürme die Skyline und läuten regelmässig in den Stadtquartieren. Breite Vorplätze stellen einen öffentlichen Versammlungsort dar und ziehen die Bevölkerung auf der Strasse regelrecht zum Eingang hin. Oft sind die Vorplätze von Grünflächen umgeben und bilden so einen Rückzugsort von der urbanen Turbulenz. Portale und Portiken erzeugen einzigartige Eingangssituationen, die durch ihre Monumentalität und Öffentlichkeit auf Passant:innen anziehend wirken.

Während die historischen Kirchen teilweise von der wachsenden Stadt umschlungen worden sind, wurden die Eingangssituation, der Vorplatz, die Strasse und der Turm der modernen Kirche in der Planung als Ensemble interpretiert. Die reformierten Kirchen in Zürich sind fest in den städtebaulichen Kontext integriert. Um das grossmassstäbliche, soziale und strukturelle Potenzial der Kirchen tiefgründiger zu verstehen, muss der aussenräumliche Kontext miteinbezogen werden.

 

Der Kirchturm

Kirchtürme – monumentale und ikonische Strukturen entlang des Zürcher Horizonts.

Das Kennzeichen der reformierten Stadt

Obwohl der Turm bei den allermeisten Zürcher Kirchen ins Grundschema des Gebäudes gehört, gibt es für den Kirchturm keine klare theologische Begründung. So schafft ein Kirchengebäude durch die monumentale Höhe, die riesigen Zifferblätter und das massive Glockengeläut des Turms sowohl visuelle als auch auditive Reize für die Bevölkerung. Im Wandel der Zeit blieben die Kirchtürme konstante Wahrzeichen der Kirchen, wobei ihr Ausdruck sich fundamental verändern konnte. Dadurch ist es meist möglich, anhand der Turmtypologie (unter anderem der Dachform oder der Öffnungen) die Kirchtürme zeitlich grob einzuordnen. Einige historische Türme, wie diejenigen des Grossmünsters oder des Fraumünsters, haben in ihrer strukturellen Ausstattung stets stilistische Veränderungen und Erweiterungen erlebt.

Wegen ihrer teilweise extremen Lage und Höhe sind die Turmhelme Naturphänomenen wie starkem Winddruck oder Blitzeinschlägen ausgeliefert. In der Chronik der Zürcher Kirchen sind mehrere Blitzeinschläge dokumentiert, welche die Gebäudestruktur beschädigten. Am Abend des 24. August 1763 zerstörte ein Blitzschlag den Glockenturm des Grossmünsters und entzündete den Spitzhelm, wodurch das Schmelzen der Glockentürme drohte. Am 28. Juni 2014 schlug ein Blitz in den Turmhelm der Kirche St. Peter, worauf die Elektronik im ganzen Gebäude – inklusive Uhr und Glocken – beschädigt wurde.

Die Kirchtürme können nach diversesten Kriterien sortiert werden. Die Zürcher Kirchtürme unterscheiden sich nach ihrer Position, nach der strukturellen Verbindung oder Trennung in Bezug auf das Hauptgebäude, der Ausprägung des Glockenstuhls oder der Form des Turmdaches.

Predigerkirche: seitlich Turm Grossmünster: Westfassade Kirche Enge: asymmetrische Positionierung Pauluskirche: Hauptfassade Bullingerkirche: asymmetrisch positionierter Campanile Thomaskirche: symmetrisch positionierter Campanile

Positionierung des Turmes

Bei den alten Dorfkirchen ist häufig ein kleiner Kapellenturm mit Glockengeläute mittig auf dem Satteldach oder über dem Chor angefertigt, wie etwa bei der Alten Kirche Witikon und der Alten Kirche Altstetten.

Grössere Kirchen wie die Kirche Unterstrass oder die Pauluskirche integrieren den mittig positionierten Glockenturm in die Frontfassade, wodurch das Portal unterhalb des Turmes steht. Im Gegensatz zum Portalturm kann ein Glockenturm entweder symmetrisch gegenüber dem Portal und hinter dem Kirchensaal oder auf dem Chor positioniert sein.

Ebenfalls gibt es asymmetrisch positionierte Kirchentürme, die entweder rechts oder links (im Regelfall auf der hinteren Seite der Kirche) von der Gebäudehülle gebaut wurden. Diese Türme können in den Raum integriert sein, wie bei der Kirche Saatlen, oder durch eine Wand vom Kirchensaal getrennt sein wie bei der Grossen Kirche Altstetten.

Frei stehende Türme, sogenannte Campanile, können auf dem Areal symmetrisch zur Kirche, wie bei der Thomaskirche Im Gut, oder asymmetrisch, wie bei der Bullingerkirche, stehen. Trotz seiner modernen Erscheinung gab es diese Form des Turms bereits, vor allem in der italienischen Renaissance, wie aus seinem Namen hervorgeht.​​​​​​​

Verbindung und Trennung

In der Regel sind die historischen und klassizistischen Kirchen in Zürich immer mit strukturell verbundenen Glockentürmen ausgestattet. Dabei sind diese entweder auf dem Dach oder an der Seite angefertigt. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts treten bei moderneren Kirchen vermehrt vom Gebäude losgelöste Campanile auf, die sich in ein Ensemble einfügen und dadurch den Freiraum unabhängig von der Kirche mitgestalten.

Das Helm- und Flachdach

Da vor allem die historischen Glockentürme schon aus der Distanz auffallen wollten, wurden sie möglichst hoch gebaut. Das spitzige Helmdach war dafür lange die maximale Ausnützung der Höhe angesichts der damaligen technischen Möglichkeiten. Das Helmdach hat meistens einen hölzernen Dachstuhl in Zimmermannskonstruktion und sitzt traditionell auf einem massiven steinernen Turmschaft. Ab dem 20. Jahrhundert wurden flache Turmdächer bevorzugt, da die technischen Entwicklungen hohe monolithische Türme ermöglichten. Ebenfalls änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg einiges. Die Kirchen suchten Standorte mitten im Quartier, die Höhe der Türme wurde herabgesetzt. Für diesen städtebaulich zurückhaltenden Ausdruck eignete sich ebenfalls das Flachdach.

 

Grossmünster Alte Kirche Altstetten Kirche Höngg Kirche Schwamendingen Alte Kirche Albisrieden Niklauskirche Alte Kirche Wollishofen Alte Kirche Witikon Fraumünster Predigerkirche St. Peter Kirche Wipkingen Kirche Unterstrass Bühlkirche St. Jakob Kirche Oerlikon Kirche Enge Kreuzkirche Neue Kirche Fluntern Kirche Oberstrass Kirche Friesenberg Neue Kirche Albisrieden Pauluskirche Kirche Saatlen Neue Kirche Altstetten Thomaskirche Markuskirche Kirche Auf der Egg Bullingerkirche Neue Kirche Witikon Stefanskirche Kirche Balgrist Andreaskirche Kirche Glaubten Kirche Leimbach

 

 

 

 

 

Die profane Umgebung

Strassen, Vorplätze und Gartenanlagen um die Kirche herum.

Strassen und Parkplätze

Zürichs Kirchen stehen an unterschiedlich verkehrsreichen Strassen. Bei der Konstruktion der Kirchen verhinderte die Erschliessung von einer Strasse her den umständlichen Transport der Materialien. Durch ihre Lage sind die Kirchen und ihre Türme oft aus weiter Entfernung von der Strasse oder dem Trottoir her ersichtlich und markieren ihren Standort im urbanen Kontext. Beispielhaft sind folgende Situationen:

1) Die Alte Kirche Witikon liegt auf dem Hügel neben dem Friedhof, einzig durch den Schulerweg mit dem Quartier verbunden.

2) Die Kirche Enge liegt ebenfalls in erhöhter Lage. Von der Seeseite ist sie über Fusswege erreichbar und auf der anderen Seite zudem mit der Bürglistrasse verbunden.

3) Die Alte Kirche Fluntern liegt eingeengt zwischen der stark belasteten Berg- und der Gloriastrasse. Die Nordfassade mit dem Relief «Der Sämann» von Otto Münch ist dadurch vom Verkehrsknoten her ersichtlich.

4) Die Zwinglikirche bildet durch die L-förmig angeordnete Volumetrie einen Freiraum, der zur Ämtlerstrasse exponiert ist, und erweitert das Trottoir zum Kirchplatz hinaus.

5) Der Zähringerplatz vor der Predigerkirche wird durch seine Nutzung als zentraler Parkplatz von Autos dominiert. Die Parkfelder sind seit Langem umstritten, schon 1986 forderten Postulate die Aufhebung der Parkplätze. 2021 entschied der Stadtrat, 14 Parkplätze aufzuheben.

6) Die Kirche Leimbach ist von Parkplätzen und Fahrwegen umgeben und von der Hauptstrasse her optimal erschlossen. Der Innenhof ist auf kurzen Fusswegen erreichbar.

Alte Kirche Witikon auf dem Hügel neben dem Friedhof Kirche Enge Alte Kirche Fluntern Zwinglihaus: L-förmiges Ensemble entlang der Aemtlerstrasse Predigerkirche und Zähringerplatz Kirche Leimbach: Parkplätze und Innenhof

Gepflasterte Vorplätze

Bei der Planung der Kirchen ist ein umfassendes Areal häufig Teil des Entwurf. Diese Umgebung beinhaltet bei gewissen Kirchen einen Vorplatz, der oft mit Kopfsteinpflaster oder Natursteinplatten belegt ist. Die Muster der Bepflasterung gestalten die breiten Freiflächen.

Grünflächen und Topografie

Zusätzlich zum Vorplatz wird der aussenräumliche Kontext der Kirchen durch Grünflächen und Parkanlagen gestaltet. Ebenfalls determiniert die topografische Situation die Ausstattung und Benutzung des Aussenraumes.

Entlang der Grünflächen gibt es meist schmale, gepflasterte oder mit Kieselsteinen belegte Wege als Erschliessung, wie etwa bei der Matthäuskirche, der Andreaskirche, der Alten Kirche Fluntern oder der Kirche Enge. Dabei sind die Wege mit Parkinfrastruktur wie Bänken oder Abfalleimern ausgestattet und machen die Aussenräume als öffentliche Verweilorte nutzbar.

Die Umgebung von Kirchen, die auf Hügelkuppen errichtet wurden, ist häufig durch dominante, symmetrische Freitreppen terrassiert. Diese Situation ist typisch für Kirchen der Neugotik und Neurenaissance, die um die Wende ins 20. Jahrhundert gebaut wurden, wie die Kirche Enge oder die Neue Kirche Fluntern.

Die Aussenräume von Kirchen können zusätzlich zu ihrem repräsentativen Zweck auf unterschiedlichste Weise aktiviert werden. Der Innenhof des Grossmünsters ist mit Gemüsebeeten und Kräutergärten besetzt. Spielplätze sind auch des Öfteren anzutreffen, wie zum Beispiel neben der Kirche Höngg oder der Kirche Letten. Auf dem Areal gelegene Friedhöfe befinden sich in der Regel neben historischen Kirchen, wie der Alten Kirche Witikon oder der Kirche Höngg.

 

Kirche Glaubten: Kopfsteinpflaster Fraumünster Kirche Balgrist: Kopfsteinpflaster Markuskirche: Natursteinpflaster Kirche Saatlen: mit Backstein belegt Matthäuskirche Andreaskirche Alte Kirche Fluntern: Kieselsteine Neumünsterkirche: Parkanlage mit Pergola Kirche Enge: monumentale Treppe zum Eingang Grossmünster: Beete und Brunnen Kirche Höngg: Kinderspielplatz Alte Kirche Witikon: Alter Friedhof Kirche Suteracher

 

 

 Der Kircheneingang

Von Podest, Portikus und Portal zu Nebeneingang und Holztür.

Der Übergang ins Sakrale

Während die Lage, der Vorplatz und der Glockenturm der Kirche von Weitem die Aussergewöhnlichkeit der Innenräume andeuten, stellt das Portal den unmittelbaren Übertritt von der profanen Aussenwelt in den sakralen Raum dar. Dabei besitzen viele historische reformierte Kirchen in Zürich grandiose und aufwendig gestaltete aussenräumliche Gesten, die diesen Übergang akzentuieren und zelebrieren. Kleinere Kirchen und modernere sakrale Gebäudekomplexe wiederum sind mit eher nüchternen und teilweise unauffälligen Eingangssituationen ausgestattet. Dadurch ist die Erfahrung des Kirchgängers bei jedem Eintritt in eine Zürcher Kirche eine andere.

Das Podest und der Portikus

Bei den grösseren historischen, insbesondere klassizistischen Kirchen liegt ein deutlicher gestalterischer Schwerpunkt auf dem Haupteingang oder -portal. Die Eingänge sind an exponierten und zugänglichen Kirchenfassaden situiert (meistens an der Frontfassade), wobei verschiedene architektonische Elemente das Portal noch mehr zur Geltung bringen. Eine wiederkehrende Struktur ist dabei der Portikus, der die Eingangssituation überdacht und in manchen Fällen eine Passage bildet. Dabei umklammern Säulengänge das Blickfeld zum Portal in symmetrischen Abständen.

Der Portikus ist vor allem bei den klassizistischen Kirchen des späten 19. Jahrhunderts wie der Kirche Enge oder dem Neumünster Riesbach vorzufinden. Der Klassizismus griff architektonische Motive aus der Antike bewusst wieder auf.

Zum Portikus gehört das Podest, mit dem der Säulengang vom Boden abgehoben ist. Eine meist symmetrische Treppe führt auf das Podest und bei einigen grösseren Kirchen gibt es sogar eine zweite Treppe, die zum Eingangsportal führt. Der Luftraum über dem Podest dient selten einer konkreten Nutzung. Der Zweck dieser häufig massiven Ausstattungen und Anwendungen der antiken Motive ist rein repräsentativ (inklusive des Schutzes vor der Witterung). Das Podest und der Portikus erweitern die Gebäudehülle zu einer Struktur, die in die Aussenwelt greift.

Modernere Iterationen von Portikus und Podest sind in ihrer Formensprache reduzierter als die klassizistischen Eingangssituationen, wie zum Beispiel bei der Neuen Kirche Altstetten oder der Pauluskirche.

Das ornamentale Portal

Verzierte und einzigartige Portale tauchen wiederum hauptsächlich bei den historischen und klassizistischen Kirchen auf. Diese Portale sind mit geschmückten Reliefs eingerahmt (Kreuzkirche Hottingen), mit detaillierten Kämpferfenstern ausgestattet (Bühlkirche Wiedikon) oder mit extravagant detaillierten Ornamenten auf den Türblättern (Grossmünster) besetzt. Die Portale können massive Dimensionen erreichen und lassen den Kirchgänger im Verhältnis klein erscheinen. Manche Kirchen besitzen dabei nicht nur ein einziges Portal, sondern gleich mehrere Eingangssituationen, die an der Frontfassade die Besucher:innen zum Eintreten einladen, wie etwa die Bühlkirche oder die Kirche Wipkingen.

Der nivellierte (Neben-)Eingang

In starkem Kontrast zu den imposanten Portalen stehen unauffällige, auf den Fussboden nivellierte Eingänge. Teilweise findet man sie auch in grossen Kirchgebäuden, wie in der Thomaskirche Im Gut.

Diese Haupteingänge können in ihrem Ausdruck und in ihrer Materialisierung mit Nebeneingängen verwechselt werden. Dabei stosst man in solchen Kircheneingängen fast ausschliesslich auf Holz- oder Glastüren. Die Türblätter sind entweder in bogenförmige Öffnungen versetzt oder in rechteckigen, zimmerhohen Türen zu finden.

Eine solche verhältnismässig profane Eingangssituation ist vor allem bei den kleineren alten Kirchen und den schlichteren modernen Kirchen aufzufinden. Bei einzelnen Kirchen ist die Gebäudestruktur so zurückversetzt, dass eine Überdachung ohne Portikus vorhanden ist. Bei einigen Kirchen der Nachkriegszeit erfolgt der Eintritt über einen auf dem Vorplatz montierten überdachten Gang, wie bei der Kirche Leimbach oder der Andreaskirche Sihlfeld. Der Haupteingang jedoch ist selten der einzige Zugang zum Innenraum. Nebeneingänge sind bei fast allen Kirchen zu finden, wobei sie meistens abgeschlossen sind und weniger auffällig gestaltet sind als der Haupteingang.

Grossmünster Bühlkirche Kirche Wipkingen Kreuzkirche Bullingerkirche Neue Kirche Altstetten

 
Grossmünster Kreuzkirche Kirche Wipkingen Bühlkirche Pauluskirche Neue Kirche Altstetten Andreaskirche Kirche Unterstrass St. Peter Alte Kirche Witikon Kirche Glaubten Kirche Oberstrass Kirche Oerlikon Kirche Schwamendingen Thomaskirche Matthäuskirche Markuskirche Alte Kirche Altstetten Niklauskirche Pfarrhaus Höngg Kirche Friesenberg Bühlkirche Helferei-Kapelle St. Jakob Kirchgemeindehaus Altstetten Bullingerkirche Grossmünster Kirche Wipkingen

Aktuell

  

ÜBERSICHT


Die Kirchen und -gemeinden im Überblick1

BAUWEISEN UND MATERIALISIERUNG


Eine Einleitung, die Entwicklung der Baustatik sowie ein Überblick der Konstruktionsarten und Baumaterialien

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INNENAUSSTATTUNG


Artikel zum Kirchengestühl, Kanzel, Abendmahl und Orgeln

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